2020, Merlin und Corona.
Das Jahr fing ziemlich gut an. Im Januar ging ein grandioses PopFreaks-Festival über die Bühne: der Wiener Voodoo-Jürgens spielte vor ausverkauftem Haus, Anja Rützel las über Take That, Mine und die Dives diskutierten über Frauen in der Musikbranche, die Düsseldorf Düsterboys, eben genannte Dives, Children und weitere Bands lieferten mit ihren Konzerten Perlen der PopKultur ab und eine vielbeachtete Plakatausstellung schenkte uns schließlich PopFreaks für die Augen. Weiterhin ging unser Projekt „Von Hogwarts nach Wakanda“ in die zweite Staffel: beschirmt von Landtagspräsidentin Muhterem Aras diskutierten Jugendliche über die Pressefreiheit am Beispiel von Harry Potter und darüber, wie Batman und seine Gegner eine freie Gesellschaft verhindern. Luther Allison spielte ein mitreissendes Blues-Konzert und auch beim Blues Caravan mit Jeremiah Johnson, Whitney Shay und Ryan Perry kamen Freunde markanter Gitarrensounds voll auf ihre Kosten. Unsere Familiensonntage mit der Sendung mit der Maus waren weiterhin der familiäre Treffpunkt des Westens, unsere soziokulturelle Grundversorgung mit Improtheater, Stadtteilkino, Kurzgeschichten, dark monday und Songslam wie immer extrem gut besucht und die legendären Die Sterne spielten am 8. März ein unvergessenes, knallvolles Konzert vor mitsingfreudigem Publikum und bewiesen einmal mehr, warum Konzerte nicht nur glücklich, sondern auch klug machen:
Von allen Gedanken
schätz ich doch am meisten
die interessanten.
Am Montag, den 9. März wurde unsere Kollegin, die in der Geschäftsführung die Bereiche Personal, Finanzen, Raumvermietungen und Verwaltung im Griff hat, aufgrund ihrer Schwangerschaft vom Arzt nach Hause geschickt und wir mussten uns telefonisch bis zum Ende ihrer geplanten Elternzeit im August 2021 von ihr verabschieden. Wenige Tage später, am Freitag, den 13. März, wurde wegen der Pandemie der Lockdown verhängt und das Merlin stellte den Betrieb bis auf Weiteres ein.
Der Schock saß tief.
Alle operativen Mitarbeitenden gingen in Kurzarbeit, übrig blieben Booker und Geschäftsführerin, die mit der Absage und Verschiebung von über 100 Veranstaltungen und Raumvermietungen beschäftigt waren. Die geplante Elternzeitvertretung der Kollegin wurde ebenso abgesagt, denn diese Personalkosten wurden nun erstmal gespart und der Bereich mit „Bordmitteln“ übernommen. Es folgten insgesamt 4,5 Monate Betriebsschließung, die wir mit meterweise Verwaltungsarbeit verbrachten. Immerhin konnten wir erfolgreich am Bundesprogramm „Neustart“ teilnehmen, denn unser Antrag auf Förderung der Infektionssicherheit wurde bewilligt. Ebenso erfolgreich wurde unser Antrag beim Land beschieden, den wir im Programm Kultursommer2020 gestellt hatten, und mit dem wir unser reduziertes Festival „Kleine Klinke“ im August durchführen konnten. Bei aller Freude über bewilligte Programme: diese Gelder müssen auch verwaltet und abgerechnet werden. Also noch mehr Verwaltungsarbeit.
Im Juli kamen die Kollegen aus der Kurzarbeit zurück, es wurde im ganzen Haus gebohrt und geschraubt, denn wir mussten nicht nur Spuckschutz aufhängen und Streaming-Technik installieren. Auch die seit 2 Jahren geplante Sanierung unserer Lüftungsanlage wurde endlich durchgeführt. Unser Vermieter hat sich hier großzügig gezeigt und tritt mit einer 6stelligen Summe in Vorleistung, die das Merlin dank Zuschusserhöhung durch die Stadt qua Mieterhöhung in den nächsten 10 Jahren abbezahlen wird. Eine Planung wie gerufen, denn zwei Monate später wurden Aerosole und Lüftungen zum Thema Nummer 1 in der Infektionssicherheit.
Mit 100% frischer Luft, mit Abstand, Masken und Hygieneschulung, mit ausgeklügeltem Putzplan, literweise Desinfektionsmitteln und ambitionierter Wegeführung durchs Haus konnten wir ab August wieder Veranstaltungen durchführen. Auch unsere Raummieter kehrten zurück und das Haus war wieder von oben bis unten voll belegt: ob Ergotherapie-Seminare im 1. Obergeschoss, Eigentümerversammlungen im 2. Stock oder Elternabende benachbarter Kitas im Saal: viele Organisationen und Vereine waren und sind froh, unsere Räume für ihre Termine und Treffen nutzen zu können, da die meisten in den eigenen Räumlichkeiten die Abstände nicht einhalten können.
Gleichwohl sind die Einnahmen aus den Raumvermietungen zurück gegangen, denn den meisten Mietern mussten wir ein „Upgrade“ in den nächstgrößeren Raum geben, welches sie gar nicht bezahlen konnten. Alle Vermietungen mit mehr als 40 Personen wurden wegen der Abstandsregeln storniert.
Der Sommer bescherte uns mit unserem Festival „Kleine Klinke“ launige Abende im Biergarten, mit unseren aus dem Saal gestreamten Konzerten auf großer Leinwand und glücklichen Künstler*innen und Gästen, die endlich mal wieder auf ein Konzert gehen durften. Beziehungsweise sitzen mußten, aber der Mensch ist ja gottlob variabel.
Voller Zuversicht wurde das Programm aufrecht erhalten und der Herbst in Angriff genommen. Unser Publikum war verständnisvoll und diszipliniert, es wurde sich sorgfältig in die Kontaktlisten eingetragen und im ganzen Haus herrschte Maskenpflicht, trotzdem sieht unbeschwerter Kulturgenuss noch ein bißchen anders aus. Nicht Mitsingen und nicht Tanzen zu dürfen ist bei guter Musik schwer, Improtheater ohne Mitmachnummern etwas karg und das ausgelassene Lachen bleibt einem mit Maske schonmal im Halse stecken. Auf unsere geliebten Familiensonntage mit dem public viewing der Sendung mit der Maus und einem Haus voller Kinder mussten wir komplett verzichten und die Workshops der Reihe „Von Hogwarts nach Wakanda“ wurden ins Internet verlegt. Hinzu kommt, daß wir selbst mit den stark eingeschränkten Kapazitäten von 40 Gästen pro Veranstaltung (bei Stehkonzerten hatten wir früher 200, bei bestuhlten Veranstaltungen 100 Leute im Haus) nicht alle Karten verkauft kriegten und der Thekenumsatz selbstredend keine Rekorde erreichte.
Trotz all dieser Widrigkeiten konnten wir eine ganze Reihe schöner Lesungen, Konzerte und Theaterabende veranstalten, und so haben wir, aufbauend auf den Erfahrungen des Sommers, einen Antrag beim Bund im Programm Neustart2 gestellt und eine Bewilligung erhalten: wir sind sehr dankbar, daß unser Programm im ersten Halbjahr 2021 mit 50.000€ unterstützt wird, mit diesem Zuschuss können wir den Künstler*innen trotz geringer Eintrittseinnahmen Festgagen auszahlen, zusätzlich werden die laufenden Kosten wie Personal und Miete abgefedert. Dadurch steht das Merlin auch im kommenden Jahr trotz Pandemie und eingeschränktem Kulturprogramm recht sicher da.
Der Herbst lief ganz gut an, bis die kälteren Temperaturen die Infektionszahlen wieder in die Höhe trieben. Ende Oktober beschlossen wir, angesichts der bedrohlichen Pandemielage, unsere Kulturveranstaltungen für zunächst 14 Tage abzusagen, nicht zuletzt auch, um unsere Mitarbeiter*innen zu schützen. Das Merlin lebt von ehrenamtlicher Mitarbeit an Theke und Kasse, aber die Ehrenamtlichen kamen schon seit einiger Zeit nur noch zögerlich zu ihren Abenddiensten. Unsere Hauptamtlichen, insbesondere die Abendleitung und Technik, sind auch bei bestem Schutz dem Kontakt mit über 40 Menschen ausgesetzt, dieses Risiko wollten wir zurückfahren. Dann kam die Nachricht des nächsten Lockdowns, und so ist die Bühne wieder geschlossen bis mindestens Ende Dezember – wer weiß, wann wir im nächsten Jahr den Kulturbetrieb öffnen.
Finanziell kommen wir in diesem Jahr einigermaßen gut durch die Pandemie und das Merlin ist nicht existenziell bedroht. Den massiven Einnahmeverlusten durch die 4,5-monatige Schließung im Frühjahr und jetzt aktuell im Winter sowie den Verlusten durch Rückgang an Eintrittsgeldern, Thekenumsatz und Raumvermietungen in den wenigen Betriebsmonaten stehen einige unerwartete Einnahmen entgegen: die Elternzeitvertretung der einen Kollegin wurde nicht besetzt und eine andere Kollegin konnte nicht aus der Elternzeit zurück kommen, weil sie wegen Schul-/Kita-Schließung keine Kinderbetreuung hatte. Die Stellen der beiden fehlenden Kolleginnen, eine Vollzeit und die andere Teilzeit, haben wir zunächst nicht besetzt und konnten so die entsprechenden Personalkosten einsparen. Hinzu kommen recht hohe Erstattungen der Krankenkassen, weil wir als Kleinbetrieb für jeden Tag, den die Hauptamtlichen krank (oder im Beschäftigungsverbot, in Reha oder Quarantäne) sind, das Gehalt erstattet bekommen. Die Hauptamtlichen waren zudem monatelang in Kurzarbeit. Unser Vermieter hat dankenswerterweise die Miete reduziert und wir haben, wie gesagt, Sonderzuschüsse beim Land (20.000€) und Bund (18.000€) beantragt und bekommen. Unser treues Publikum hat uns zudem mit Spenden und Verzicht auf Ticketerstattung von insgesamt ca. 12.000€ auf die Füße geholfen: vielen Dank!
Wie schon im Frühjahr nutzen wir nun die veranstaltungsfreie Zeit, um das Haus weiter auf Vordermann zu bringen, es wird aufgeräumt, ausgemistet und nahezu jede Schraube nochmal nachgezogen. In 36 Jahren Kulturarbeit ohne Schließzeiten ist unfassbar viel Zeug im Merlin liegen geblieben, wir finden alte Schätze und längst Vergessenes, wir optimieren unser Netzwerk, richten home office ein, organisieren unsere virtuelle Mitgliederversammlung, schreiben Haushaltspläne und Jahresberichte, schauen jeden Tag kritisch aufs Konto und auf die Infektionszahlen und gehen voller Zuversicht davon aus, dass dies der letzte Lockdown ist und bleibt. Aktuell bleibt der Kulturbetrieb allerdings noch bis mindestens 31. Januar 2021 geschlossen, das PopFreaks-Festival haben zunächst in den Mai 2021 verschoben.
Wir haben eine Menge Ideen, ob analog, virtuell oder hybird, wir planen weiter unbeirrt aufregende Konzerte, angesagte Festivals, liebevollen Kinderkram, anregende Lesungen und aufwühlendes Theater. Und irgendwann gucken wir auch wieder zusammen am Sonntag die Sendung mit der Maus.
Klingt komisch, ist aber so.
Bilder: Arne Hübner, außer die Sterne (Holger Vogt für gig-blog) und die Maus: © I.Schmitt-Menzel, WDR Mediagroup licensing GmbH, Die Sendung mit der Maus ® WDR
Schlagwörter: Corona, Konzerte, Kultur, Merlin1 thought on “2020, Merlin und Corona.”
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Liebes Merlin-Team,
danke, dass ihr durchhaltet und dass ihr diese Krisenzeiten so kreativ gestaltet (habt).
bis bald !!!
Barbara